Datenschätze mit Qualitätsanspruch

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Artikel: Datenschätze mit Qualitätsanspruch

04/2019 – Christian Kolarsch von der DB Systel und Dr. Markus Albrecht aus dem Bereich CIO DB Konzern stellen die Trendstudien „Datenbasierte Geschäftsmodelle“ und „Information Veracity“ vor. Im Interview verraten sie, warum Daten für die Zukunft der Bahn wichtig sind – und wie man ihnen vertrauen kann.

Was unterscheidet die Trendstudien vom Trendradar?
CHRISTIAN KOLARSCH: Die Trendstudien und der Trendradar hängen eng zusammen. Mit dem Trendradar geben wir auf der Metaebene Einblicke in große Digitalisierungstrends. In der letzten Ausgabe betrachteten wir 15 große Digitaltrends. Mit den Studien vertiefen wir wiederum ausgewählte Trends.

Wie funktioniert die Matrix, mit der Sie im Trendradar die Bedeutung der Trends für den Konzern gewichten?
MARKUS ALBRECHT: Auf der x-Achse stellen wir den globalen Marktblick und den Reifegrad einer Technologie dar. Die y-Achse gibt unsere Einschätzungen bezüglich der Auswirkungen auf den DB-Markt wieder. Diese Einschätzung kann uns kein externer Analyst ohne Weiteres zur Verfügung stellen.

Matrix Datenbasierte Geschäftsmodelle und Information Veracity
Digitale Trends werden auf einer Matrix nach Reifegrad (Maturity) und geschäftlichen Auswirkungen für die Deutsche Bahn (DB Business Value) bewertet. Die Platzierung von „Information Veracity“ sowie „datenbasierten Geschäftsmodellen“ zeigt die hohe Relevanz dieser Themen für die Deutsche Bahn.


Wie arbeiten Sie dafür mit anderen Abteilungen zusammen?
MARKUS ALBRECHT: Bei Studien wie „Datenbasierte Geschäftsmodelle“ ist nicht nur der rein technische Blick wertvoll und wichtig. Es geht auch um gesellschaftliche Themen, Marktsituationen oder um Voraussetzungen, die für datenbasierte Geschäftsmodelle benötigt werden. Um ein möglichst breites Spektrum an Know-how einfließen zu lassen, arbeiten wir innerhalb des Konzerns eng mit Kollegen aus ganz unterschiedlichen Bereichen zusammen, zum Beispiel aus der Marktforschung, dem Digitalisierungsbereich oder mit Datenanalysten. Die Studie ist auch ein Ausdruck für die enge Zusammenarbeit zwischen dem Konzern-CIO-Bereich und der DB Systel. Insgesamt wurde damit eine breitere Sicht auf datenbasierte Geschäftsmodelle ermöglicht.

Wie wählen Sie die Themen für die Studien aus?
CHRISTIAN KOLARSCH: Wichtiges Auswahlkriterium für einen zu vertiefenden Trend sind für uns große Auswirkungen auf möglichst viele Bereiche im gesamten Konzern. Die Trendstudie „Datenbasierte Geschäftsmodelle“ hat einen Umfang von annähernd 40 Seiten. Das macht klar, dass wir nicht die Kapazitäten haben, bei allen Themen so in die Tiefe zu gehen.

Wieso schätzen Sie den Wert von datenbasierten Geschäftsmodellen für den Konzern so hoch ein?
CHRISTIAN KOLARSCH: Bei datenbasierten Geschäftsmodellen denkt man häufig an Facebook, Amazon und Co., ein direkter Zusammenhang mit der Deutschen Bahn fällt erst einmal schwer. Schaut man sich allerdings verschiedene Player aus dem Travel-Transportation-Markt oder im Logistikbereich an, wie beispielsweise Uber oder Flixbus, dann wird schnell die nicht zu unterschätzende Relevanz von Daten und darauf basierenden Geschäftsmodellen auch für die Bahn deutlich. Immer mehr Unternehmen ohne große Fahrzeugflotten oder Infrastrukturen treten in unseren Markt ein. Wir dürfen das Thema daher nicht unterschätzen, weil es große Möglichkeiten für neue Marktplayer und damit einen höheren Wettbewerb gibt.

Warum haben Sie auch Unternehmen wie MyHammer oder Zalando betrachtet, die nicht im Mobilitätssektor agieren?
MARKUS ALBRECHT: Wichtige Bausteine eines datenbasierten Geschäftsmodells sind erst einmal Daten, und zwar einerseits solche, die die Kunden generieren, als auch solche, die unsere eigenen Systeme erzeugen. Zweitens sind Plattformen das verbindende Element zwischen dem Daten-Ökosystem und dem Kunden-Ökosystem als drittem Baustein. Einige Konsumentenplattformen sind zwar auf den ersten Blick nicht relevant für die Deutsche Bahn, machen es aber greifbar, welche Bedeutung datenbasierte Geschäftsmodelle haben können. Mit der Studie wollen wir ergründen, wie sich die Modelle dieser Plattformen für die Deutsche Bahn adaptieren lassen.

Welche Erkenntnisse lassen sich aus Daten für Geschäftsmodelle ziehen?
MARKUS ALBRECHT: Ein Beispiel ist das Mobilitätsverhalten: Wenn Kunden von A nach B reisen möchten, ist ein möglicher erster Aspekt der Preis: Ist zum Beispiel ein Flixbus günstiger, könnte das ausschlaggebend sein. Gleichzeitig wird es für Kunden immer wichtiger, wie sie von Tür zu Tür kommen, also der Ende-zu-Ende-Gedanke. Aufgrund von Datenanalysen lässt sich feststellen, dass der Wunsch nach einer individuellen Reisekette groß ist und an welchen Orten man durch spezielle ergänzende Angebote zum klassischen DB-Angebot am besten punkten kann.

CHRISTIAN KOLARSCH: Wir schauen, wie es die großen Plattformanbieter machen, deren Geschäft nicht unbedingt Mobilität ist. Wir prüfen zum Beispiel, welche Elemente Amazon nutzt, um erfolgreich zu sein – und versuchen, diese in unseren Kontext zu bringen. Die Deutsche Bahn entwickelt entsprechend neue Mobilitätskonzepte, die wie „ioki“ nicht nach einem Fahrplan funktionieren, sondern nach Bedarf.

Datenbasierte Geschäftsmodelle

Datenbasierte Geschäftsmodelle basieren auf Plattformen, über die Marktteilnehmer Informationen und Güter tauschen, daraus entstehende Geschäftsbeziehungen vertieft werden und sich mitunter ein völlig neues Geschäft entwickelt. In Zeiten der Digitalisierung zielen datenbasierte Geschäftsmodelle darauf ab, aus dem stark wachsenden Datenaufkommen bestehende Angebote zu erweitern oder neue Märkte zu erschließen.

Anforderungen ändern sich permanent. Ist die Studie dafür ein passendes Handlungsinstrument?
CHRISTIAN KOLARSCH: Vor allem wollen wir aufzeigen, wo Chancen und Risiken liegen. Auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Fragestellungen wollen wir mit der Studie abdecken – und so Denkimpulse geben. Wenn es um datenbasierte Geschäftsmodelle geht, können wir nicht einfach auf der grünen Wiese operieren, sondern müssen uns den politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen fügen.

Welche Erkenntnisse konnten Sie in Bezug auf die Deutsche Bahn gewinnen?
MARKUS ALBRECHT: Die Bahn wird im Umgang mit Daten als verantwortungsvoller Partner wahrgenommen. Kunden sind gegebenenfalls eher bereit, Informationen und Daten über sich preiszugeben, wenn sie wissen, dass wir damit vertrauensvoll umgehen. Wir verfügen über einen großen Datenschatz – und haben daher im Vergleich zu vielen nationalen und internationalen Unternehmen und Start-ups eine gute Ausgangsposition, um daraus neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Die Studie zeigt also vor allem die Chancen der Digitalisierung auf?
CHRISTIAN KOLARSCH: Nicht nur, denn es gibt auch Risiken, besonders mit Blick auf die Zukunft. In der Studie kommen wir zu dem Schluss, dass wir es als Bahn schaffen müssen, datenbasiert zu arbeiten und entsprechende Geschäftsmodelle aufzubauen. Andernfalls wächst das Disruptionspotenzial, weil wir mit völlig neuen Playern in den Wettbewerb treten müssen. Unternehmen wie Flixbus beherrschen zum Beispiel die Wertschöpfungskette bei Reisen, ohne ein eigenes Fahrzeug zu haben. Mit großen Digitalisierungsunternehmen wie Alphabet/Google wächst das Risiko, dass sich diese mit datenbasierten Geschäftsmodellen zwischen unsere Kunden und uns schieben – und uns dadurch Geschäft verloren geht.

"Wenn wir mit datenbasierten Geschäftsmodellen erfolgreich sein wollen, müssen wir bei Daten die Spreu vom Weizen trennen, um eine hohe Informationsqualität zu schaffen."

Christian Kolarsch, DB Systel

Christian Kolarsch, DB Systel

Datenschatz oder Datenschutz: Was ist wichtiger?
CHRISTIAN KOLARSCH: Beides bedingt sich. In der Studie „Datenbasierte Geschäftsmodelle“ gehen wir stark auf Datenschätze innerhalb des Bahnkonzerns ein. Wir haben bei der Bahn eine Vielzahl an Daten aus den unterschiedlichsten operativen Bereichen. Viele davon sind mit einem ganz anderen Fokus entstanden, als damit datenbasiertes Geschäft zu generieren. Wenn wir mit datenbasierten Geschäftsmodellen erfolgreich sein wollen, müssen wir bei Daten die Spreu vom Weizen trennen, um insgesamt eine hohe Informationsqualität zu schaffenDas ist eine Facette unserer Studie „Information Veracity“.

Können Sie das konkretisieren?
CHRISTIAN KOLARSCH: Wir werden zunehmend mit Daten und Informationen geflutet. Die große Herausforderung liegt darin, auf die richtigen Daten und Informationen zu setzen. Unser tägliches Handeln basiert auf Informationen, die wir verarbeiten. Also: Wie finde ich belastbare Daten und qualitativ hochwertige Daten? Wenn ich mir anschaue, was mir über Social-Media-Kanäle oder das Internet zur Verfügung steht, aber auch was zukünftig im IoT-Umfeld an zusätzlicher Datenflut erzeugt wird und verarbeitet werden muss, gewinnt Information Veracity an Gewicht.

Information Veracity

Veracity steht ganz allgemein für die Sinnhaftigkeit beziehungsweise die Vertrauenswürdigkeit von Daten. In der Regel steht und fällt die Glaubhaftigkeit der Daten und Ergebnisse mit der Qualität der Input-Daten und den gewählten Analyseverfahren.

Was bedeutet das im Bahn-Kontext?
CHRISTIAN KOLARSCH: Schauen Sie auf die Konzepte für eine vorausschauende Wartung: Komponenten eines Fahrzeugs werden nicht mehr periodisch ausgetauscht, sondern bei Verschleiß. Bestimmte Indikatoren, die durch IoT-Technologien ermittelt werden, weisen beispielsweise darauf hin, dass ein Teil ausgetauscht werden muss. Die entsprechenden Algorithmen müssen sauber arbeiten, die ermittelten Daten müssen korrekt sein. Andernfalls gehen Bauteile auf Basis der schlechten Daten möglicherweise kaputt oder werden viel zu früh getauscht. In beiden Fällen können die erwünschten Effekte einer Predictive Maintenance nicht realisiert werden.

Sie haben für die Studie „Information Veracity“ drei fiktive Szenarien skizziert. Warum?
CHRISTIAN KOLARSCH: Als wir mit der Studie losgelegt haben, konnten viele mit dem Begriff „Information Veracity“ nicht viel anfangen. Daher wollten wir das Thema greifbarer machen und haben aus unterschiedlichen Bereichen Beispiele zu Bedrohungsszenarien herausgearbeitet. Auf technischer Seite wählten wir das Thema Softwaremanipulation und haben dieses auf das Bahnumfeld übertragen. Aus gesellschaftlicher Sicht beleuchteten wird die Bedeutung von Fake News oder bewussten Fälschungen. Beim wirtschaftlichen Szenario ging es uns um Wirtschaftlichkeitsberechnungen und Business Cases.

"Eine hohe Datenqualität und -verlässlichkeit hilft uns auch bei der Verbesserung unserer internen Prozesse und Abläufe."

Dr. Markus Albrecht, Deutsche Bahn

Dr. Markus Albrecht, Deutsche Bahn

Welche Erkenntnisse konnten Sie sammeln?
CHRISTIAN KOLARSCH: Vor allem dass es für Unternehmen langfristig überlebenswichtig ist, mit anvertrauten oder gesammelten Daten verantwortungsbewusst umzugehen. Das ist auch und gerade für die Deutsche Bahn ein wesentlicher Punkt. Bereits unsere Studie zu datenbasierten Geschäftsmodellen zeigt, dass einer unserer großen Pluspunkte beim Umgang mit Daten liegt. Und die Studie „Information Veracity“ belegt, dass wir das nicht gefährden dürfen.

Gehören die beiden Studien also eng zusammen?
MARKUS ALBRECHT: Die beiden Themen haben eine relativ große Schnittmenge, aber jedes für sich auch seine eigene Berechtigung. Während datenbasierte Geschäftsmodelle eher den Fokus auf externe Kunden haben, haben wir bei den Themen Datenqualität und Belastbarkeit auch intern einen hohen Nutzen. Ohne hochqualitative und korrekte Daten werden wir keine guten datenbasierten Geschäftsmodelle entwickeln. Das bedeutet jedoch im Umkehrschluss nicht, dass wir ohne datenbasierte Geschäftsmodelle auf qualitativ hochwertige Daten verzichten können. Ganz im Gegenteil, eine hohe Datenqualität und -verlässlichkeit hilft uns auch bei der Verbesserung unserer internen Prozesse und Abläufe.

Vielen Dank für das Gespräch.

Interessierte DB-Leser finden den kompletten Umfang der beiden besprochenen Trendstudien sowie die Kontaktdaten der jeweiligen Trendanalysten auf DB Planet in der Gruppe Digital.Trends.

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