Mit Business Intelligence die Zukunft vorhersehen
Artikel: Den demografischen Wandel berechnen: IT-gestützte Personalprognose für die DB Cargo
10/2023 – Damit Unternehmen aktiv mit dem demografischen Wandel umgehen können, müssen sie wissen, wann sie wie viele neue Mitarbeitende benötigen. Die DB Cargo kann den Personalbedarf in den Schlüsselfunktionen jetzt anhand konkreter Daten und intelligenter Modellierung auf Jahre hinaus prognostizieren.
Wie kann ein Konzern komplexe Sachverhalte anschaulich darstellen und konkrete Handlungen für die Unternehmenssteuerung daraus ableiten? Die langfristige Personalplanung ist dafür ein typischer Fall: Wie viele Mitarbeitende müssen wir perspektivisch an welchem Standort einstellen? Das klingt trivial, dafür müssen jedoch zunächst Dutzende Detailfragen und Faktoren berücksichtigt werden. DB Cargo hat gemeinsam mit DB Systel ein Personalcontrolling entwickelt, das hierzu konkrete Antworten gibt.
Excel am Limit
DB Cargo ist mit insgesamt rund 19.000 Mitarbeitenden allein in Deutschland an insgesamt 21 Standorten in fünf Regionen der größte Anbieter für Gütertransport auf der Schiene. Die Herausforderungen des demografischen Wandels deuten sich in der DB Cargo ebenso an wie in vielen anderen deutschen Betrieben: Rund die Hälfte der Mitarbeitenden des Transportunternehmens ist über 50, ein Drittel über 55 Jahre alt. DB Cargo wird in den kommenden Jahren absehbar zahlreiche erfahrene Fachkräfte und deren wertvolle Fähigkeiten in den wohlverdienten Ruhestand verabschieden.
Rund zwei Drittel aller Mitarbeitenden der DB Cargo fallen unter die „operativen Kernfunktionen“ für den Betrieb. Dies sind die Rangierdienste, Lokrangierführer:innen, Triebfahrzeugführer:innen und Wagenmeister:innen. Ohne diese Spezialist:innen fährt kein Güterzug. Die besondere Herausforderung für die DB Cargo: Diese Berufe und Qualifikationen sind sehr fachspezifisch und auf dem freien Markt beinahe nie zu finden. Aktuell beginnen rund 600 Nachwuchs-Eisenbahner:innen jährlich eine Berufsausbildung bei der DB Cargo. Zu wenige, um die vor allem altersbedingten Abgänge zu kompensieren: In den operativen Kernfunktionen werden bisher zusätzlich rund 1.000 Quereinsteiger:innen pro Jahr benötigt, die über Funktionsausbildungen fit für die Schiene gemacht werden. Alle Neueinsteiger:innen müssen zunächst eine interne Ausbildung durchlaufen, die je nach Berufsbild sechs bis 15 Monate dauert, bevor sie auf die Schiene können. Deshalb muss die DB Cargo ihren Personalbedarf sehr langfristig planen.
Diese Ausgangslage war der Anlass für die DB Cargo, eine technische Lösung für eine strategische Personalplanung – ein intelligentes Personalcontrolling – zu suchen. Zwar gab es bereits zuvor eine zukunftsgerichtete „Bestandsvorschau“ des Personals, doch jede Region der DB Cargo hatte bislang eigene Prozesse und Tabellen für den Personalbedarf. Eine Analyse und Modellierung beispielsweise der erwarteten Ruhestände, Fluktuation oder internen Karrierewege gab es bis dahin nicht. Die Daten des Bedarfs und des Bestands waren beispielsweise in unterschiedlichen Systemen hinterlegt.
In der Praxis bedeutete dies, dass zahlreiche einzelne Tabellen mit Personalkennzahlen aus unterschiedlichen Quellen erstellt, versendet und schließlich in der Zentrale mit hohem Aufwand zusammengeführt wurden, um einen Gesamtüberblick zu erhalten. „Wir haben Excel an die Grenzen des Machbaren und die Mitarbeitenden an die Grenze ihrer Belastungsfähigkeit gebracht“, sagt Alexander Vogler von der DB Cargo. Diese manuellen Prozesse waren nicht nur aufwändig und fehleranfällig, sondern es fehlte eine gemeinsame und jederzeit vollständige, aktuelle Datenbasis. 2019 begannen die Verantwortlichen deshalb damit, nach einer einheitlichen und übersichtlicheren Lösung für die übergreifende Prognose des Personalbedarfs zu suchen.
Business Intelligence für die Personalabteilung
Das Ergebnis der Suche nach einer Lösung hat seine Wurzeln im Finanzumfeld. Dort sind Prognosen und Controlling schließlich Alltag: Nach einem Auswahlprozess fiel die Wahl auf „IBM Planning Analytics“, einer Anwendung für Business Intelligence. Diese basiert auf dem Datenbanksystem TM1, das bei der Bahn bereits an vielen Stellen erfolgreich im Einsatz ist, wo Daten zusammengeführt, ausgewertet und visualisiert werden. Das „TeaM1“ der DB Systel, das auf Business Intelligence mit TM1 spezialisiert ist, hat die DB Cargo hierbei als Umsetzungspartner begleitet und die Implementierung übernommen.
„Mit IBM verbindet die Deutsche Bahn eine langjährige Beziehung“, sagt Christoph Hein vom TeaM1. Die Bahn ist schließlich der größte Kunde für TM1-Lösungen. Deshalb ist auch der Hersteller selbst involviert, wenn es neue Anforderungen und Feedback aus der Bahn-Praxis gibt. „Wir haben einen engen Austausch“, so Hein. Wegen der zahlreichen TM1-Instanzen, die im Einsatz sind, ist die Bahn wichtiger Ansprechpartner für IBM und hat durch wichtiges Feedback zu Updates, der Performance und benötigten Funktionen einen fortlaufenden Einfluss auf die Weiterentwicklung dieser Lösung.
Eine gemeinsame Basis für Personaldaten schaffen
Seit dem Beginn des Projektes im Jahr 2020 haben DB Cargo und DB Systel sich fortlaufend bemüht, alle Beteiligten am Prozess mitzunehmen, um von Beginn an für eine hohe Akzeptanz der geplanten Prognoselösung und deren Prozesse zu sorgen. Auf der technischen Seite hat DB Systel die Lösung auf diese konkreten Anforderungen angepasst, die Prozesse des Personalcontrollings optimiert und die fortlaufenden Anregungen der Fachansprechpartner:innen in der TM1-Lösung implementiert.
Seit dem Launch des Tools im Jahr 2021 hat die DB Cargo ein umfassendes Bild der Personalsituation und kann dank der Analyse und Modelle anhand der Daten inzwischen fünf Jahre weit in die Zukunft blicken. Hierbei ging es darum, alle vorhandenen Daten zu konsolidieren, alle spezifischen Merkmale zu erfassen und Prämissen zu berücksichtigen, die als Treiber der Entwicklung für Personalprognosen wichtig sind: regionale Zuordnungen der Mitarbeitenden, Fluktuationsraten, speziell benötigte Qualifikationen oder konkrete Renteneintrittszeitpunkte.
Da die Qualifikationen in der DB Cargo so spezifisch sind, spielen hier viele Faktoren für die Personalplanung eine Rolle. Beispielsweise haben Triebfahrzeugführer:innen spezielle „Führerscheine“ für bestimmte Fahrzeugtypen, nicht jede:r darf jedes Modell fahren. In der Praxis können Fahrzeugführer:innen deshalb nur dort arbeiten, wo die passenden Typen im Einsatz sind. Um derartige Spezialfälle zu berücksichtigen, haben DB Cargo und DB Systel in dem Projekt das „Bildungsplanungstool“ ebenfalls per Live-Schnittstelle an die neue Personalprognose angebunden. Damit werden die Kurse, die Kursdauer und die Funktionsausbildungsplätze für die Ausbildungen der Neueinsteiger:innen festgelegt. Besetzungs- und Übernahmequoten werden zusätzlich berücksichtigt, um ein möglichst realistisches Szenario abzubilden. So kann das System automatisch berechnen, wann und wie viele neue Mitarbeitende nach ihrer Ausbildung einsatzbereit sein werden.
Fünf Jahre in die Zukunft der Personalentwicklung blicken
Mit dem neuen Analysetool können Personalcontroller:innen in den einzelnen Regionen jetzt jederzeit die für sie wichtigen Zahlen und Auswertungen sehen. Linien-, Ampeldiagramme und weitere Visualisierungen zeigen deutlich, wo es in Zukunft Personallücken geben wird und wie sich der Ausbildungsbedarf der nächsten fünf Jahre entwickeln wird. Steht die Ampel für Rangierdienste an diesem Standort für das Jahr 2025 auf grün, rot oder wird es gar eine Überdeckung geben? Dies sehen die Personalverantwortlichen jetzt auf einen Blick. Das neue System kann Szenarien abbilden und Hypothesen berechnen: Wie wirkt sich beispielsweise eine Zunahme der Neueinstellungen heute konkret in der Zukunft aus?
Zugleich haben die Verantwortlichen jetzt jederzeit einen Blick auf das Gesamtbild. Das erlaubt es den Regionen, sich abzustimmen und – falls möglich – untereinander für einen Ausgleich zu sorgen. Auch die Zentrale der DB Cargo hat jetzt jederzeit eine vollständige Prognose und kann granulare Einblicke in einzelne Standorte, Berufe oder historische Entwicklungen nehmen. Die Verantwortlichen in den Regionen wie auch die Zentrale können jetzt deutlich effektiver gemeinsam agieren, den Personalbedarf und dessen Entwicklung bis ins Detail analysieren. So entstehen konkrete Handlungsempfehlungen zum Beispiel für die Dimensionierung der Rekrutierung und Qualifizierung.
In der Praxis nutzen alle Beteiligten jetzt eine einheitliche Webapplikation mit jeweils unterschiedlichen Berechtigungen, Daten zu ändern. Über die Startseite des HR-Prognosemodells gelangen die Anwender:innen zu den Eingabemasken für die verschiedenen Treiber der Personalentwicklung wie Abgänge, Arbeitszeitreduzierung und Transfers, sowie zu Dashboards für Analyseberichte und der finalen Prognose. Das Feedback der regionalen HR-Verantwortlichen ist positiv: Sie freuen sich über die Datenkonsistenz und dass sie nicht mehr mit Excel-Dateien jonglieren müssen. Auch die Dateneingabe ist jetzt erleichtert und vermeidet Fehler. Denn manuell eingetragene Daten werden jetzt automatisiert geprüft und verarbeitet.
Die Vorlage für weitere HR-Prognosen im Konzern
Seit dem Launch der treiberbasierten Personalprognose wird die Anwendung kontinuierlich weiter optimiert und dient zugleich als potenzielles Vorbild: Fachkräftemangel und demografischer Wandel treffen schließlich nicht nur die DB Cargo. Strategische Personalplanung und -prognose ist in jedem Geschäftsbereich ein Thema. Aus den Erfahrungen und Funktionen der treiberbasierten Personalprognose der DB Cargo können in Zukunft noch weitere Anwendungsfälle entstehen. Auch andere Geschäftsfelder mit abweichenden Berufsbildern können von den Methoden und Tools der Business Intelligence in der Personalplanung profitieren. DB Systel arbeitet derzeit daran, diese Lösung anderen Geschäftsfeldern möglichst standardisiert und dennoch individuell passend anzubieten.