Einheitliche Datenhaltung und einfachere Abrechnung
Artikel: Eine IT-Strategie wird zum Fahrplan der Digitalisierung des Trassenvertriebs
09/2023 – Der Vertrieb der DB Netz hat seine IT-Landschaft und -Prozesse erneuert – mit Unterstützung einer IT-Strategie der DB Systel. Damit hat die DB Netz ihre Vertriebssysteme anhand konkreter Vorschläge von Grund auf neu für heutige und zukünftige Anforderungen aufgestellt.
Für einen ICE des DB Fernverkehrs gilt das Gleiche wie für die Ausfahrt einer historischen Dampflokomotive eines Eisenbahnmuseums: Wer auf der Schiene der DB Netz fährt, muss diese Fahrt buchen. Auf den 34.000 Streckenkilometern legen unter anderem Fernzüge, Güterzüge und Regionalbahnen mehr als eine Milliarde Kilometer pro Jahr zurück. Dabei hat die DB Netz mehr Kunden als man denken könnte: rund 450 unterschiedliche Verkehrsunternehmen nutzen die Gleise der DB Netz.
Wie die Züge auf die Strecke kommen
Das mit Abstand wichtigste Produkt der DB Netz sind die so genannten Trassen: Verkehrsunternehmen reservieren sich damit einen Zeitabschnitt auf der Strecke, um einen Zug zum Ziel fahren zu lassen. Zusätzlich bietet die DB Netz Serviceeinrichtungen, beispielsweise Abstellgleise für Züge mitsamt der gegebenenfalls erforderlichen Wasserversorgung, Druckluft oder Strom im Stand. Ein Großteil der Kapazität des Schienennetzes wird über Rahmenverträge und Jahresplanungen längerfristig vergeben und im Netzfahrplan festgehalten, damit Fahrpläne und regelmäßige Verbindungen zuverlässig funktionieren können. Das Vergabesystem von Trassen muss als diskriminierungsfreies Verfahren zahlreiche Aspekte berücksichtigen, was scheinbar einfache Bestellungen kompliziert macht. Noch vorhandene Restkapazitäten auf der Schiene können zusätzlich jederzeit mit nur etwa einem Tag Vorlauf gebucht werden.
All dies bedeutet: Die DB Netz benötigt eine flexible Systemlandschaft für ihren Vertrieb, um von der Bestellung bis zur Abrechnung dieser immer komplizierteren Aufträge einheitliche und zukunftsfähige Prozesse abbilden zu können: einfacher für die Mitarbeiter:innen im Innendienst und einfacher für die Planungsabteilungen sowie Buchhaltung bei den Kundenunternehmen. Einzelne Systeme im Vertrieb der DB Netz stammten jedoch noch aus den 2000ern und erlaubten keine durchgehenden Prozesse: Fahrplansysteme und Datenbanken, die in Programmiersprachen entstanden waren, die längst an keiner Universität mehr gelehrt werden. Dazu kamen selbst entwickelte Excel-Lösungen und weitere Hilfsmittel. Selbst die Stammdaten der Hunderten Kunden und noch zahlreicheren Ansprechpartner:innen dort waren nicht über alle Systeme einheitlich abgelegt. Es war klar: In Zukunft wird diese Systemlandschaft nicht mehr mit den Anforderungen mithalten können.
Den Vertrieb von Infrastruktur modernisieren
Dies war 2019. Heute sieht die Systemlandschaft des Vertriebs in der DB Netz völlig anders aus. Der Ausgangspunkt dazu war eine neue IT-Strategie. Für VerITAS, die „Vertriebs-IT Analyse und Strategie“, hat DB Systel den damaligen Stand ausgewertet und zukünftig benötigte Fähigkeiten identifiziert: „Was muss ich als Bereich in fünf Jahren an Geschäftsfähigkeiten können, um das Geschäft sicherzustellen?“ fasst Michael Schultz-Wildelau von DB Systel die Ausgangsfragen der Strategie zusammen. Er hat diese Strategie mit seinem Team entwickelt. „Produktentwicklung, Bestellung und Abrechnung der Produkte. Das sind die wesentlichen großen Themenschwerpunkte, die dort untersucht wurden“, sagt Ralph Grassel von der DB Netz, der diese neue Strategie in Auftrag gegeben hat.
Dort, wo früher Excel-Tabellen, Systembrüche und zahlreiche manuelle Eingriffe zwischen der Bestellung und Abrechnung von Leistungen lagen, arbeiten die heutigen Systeme deutlich besser im Verbund zusammen. Sie nutzen Automatisierungen, erlauben bessere Kundenkommunikation und bieten Mitarbeiter:innen wie auch Kund:innen zusätzliche Funktionen, die für mehr Komfort sorgen, dazu Zeit sparen und Fehler vermeiden. Die Herzstücke dieser Erneuerung sind das neue Customer Relationship Management (CRM – Software für Kundenbeziehungen) mit zusätzlichen Marketing- sowie Kommunikationslösungen und ein neues Abrechnungssystem.
„Es geht hier im Wesentlichen um Kundenportale – den Zugang zu den Produkten“, sagt Ralph Grassel, der für die Digitalisierung des Vertriebs verantwortlich ist. „Es geht aber auch um einheitliche Kundenstammdaten für alle Systeme und um eine Vielzahl von kleineren Tools, die Kund:innen zu Planungszwecken nutzen können, wie den ‚Trassenfinder‘.“ Mit diesem sehen Kund:innen bereits vor der Bestellung, ob sie einen Zug wie gewünscht anmelden können: Kann beispielsweise ein Zug mit einer Länge von 750 Metern überhaupt entlang der gewünschten Strecke fahren?
Einen klaren IT-Fahrplan für die Transformation schaffen
Zu Beginn dieser Transformation suchte die DB Netz 2019 nach einem Expertenteam, um den Anforderungen der Zukunft mit einer ausführlichen Analyse und Planungsgrundlage für die Jahre 2020 bis 2024 entgegenzutreten. Die Wahl fiel auf die Strategie-Expert:innen der DB Systel aus dem Bereich „Digital Consulting“. Im ersten Schritt hat DB Systel zu Beginn die vorhandenen Geschäftsfähigkeiten und bestehenden Prozesse gesammelt.
Nach der anschließenden Inventur aller aktuellen Softwarewerkzeuge hat DB Systel diese bestehende Systemlandschaft auf zukünftige Schwachpunkte und Lücken hin ausgewertet. „Wir waren iterativ mit den Verantwortlichen und Fachkolleg:innen im Austausch. Je konkreter es in Richtung der Maßnahmen ging, desto mehr Know-how der DB Systel haben wir für die potenziellen Lösungen hinzugezogen“, beschreibt Michael Schultz-Wildelau das Vorgehen des Consulting-Teams der DB Systel: „Das Ergebnis war eine Maßnahmenliste und Roadmap, mit der die DB Netz auch das Budget für diesen Zeitraum planen konnte.“
Was ist zu tun, und was wird es kosten?
Ralph Grassel erhielt mit der ausführlichen Analyse und Strategie das richtige Werkzeug, um die folgenden Jahre planen und danach handeln zu können: „Nach Fertigstellung der Strategie war für uns alle Transparenz hergestellt. Viele wussten zwar vieles, aber es war nirgendwo an einer Stelle dokumentiert. Dazu auch noch mit einer ganz klaren Priorisierung durch die Beteiligten.“ Mit dem konkret ausformulierten Bedarf konnte der Vertrieb der DB Netz gezielt planen und budgetieren: „In vielen Momenten der folgenden fünf Jahre war diese Strategie die Diskussionsgrundlage, um den Budgetverantwortlichen zu zeigen: ‚Das Geld wird für genau dieses Ziel benötigt, und wenn wir dies jetzt nicht tun, hat das jene Folgen.‘ Denn genau das war in der Strategie aussagekräftig dokumentiert“, freut sich der Vertriebsverantwortliche.
Mithilfe der Strategie und den daraus entstandenen IT-Lösungen ist die DB Netz ein entscheidendes Stück in Richtung des Zieles gegangen, digitale Bestellungen von Leistungen zu verbessern und die Abrechnung zu erleichtern. Ein weiterer wichtiger Punkt in dieser neuen IT-Strategie war die Beschleunigung der Softwareentwicklung. Mit den früheren Entwicklungszyklen dauerten Anpassungen und neue Features schlicht zu lange. Schließlich muss die DB Netz als stark reguliertes Unternehmen jederzeit nicht nur auf Kundenwünsche, sondern beispielsweise auf Gesetzesänderungen reagieren können. Jetzt wird die IT der DB Netz mit der SAFe-Methodik („Scaled Agile Framework“) produziert, einer agilen Methode zur Planung und Entwicklung. „Damit war die Strategie eine erhebliche Unterstützung bei der Umgestaltung, wie wir IT herstellen“, bekräftigt Ralph Grassel.
Auf die nächsten fünf Jahre
„Wir haben vieles aus der Strategie umgesetzt und sind nicht von der strategischen Reihenfolge abgewichen. Die Art und Weise, wie wir IT produzieren, haben wir ebenfalls verändert“, resümiert der Verantwortliche für die Digitalisierung des Vertriebs. Jetzt startet DB Netz gemeinsam mit dem Beraterteam der DB Systel bereits die IT-Strategie für die nächsten fünf Jahre: VerITAS 2.0. „Wir haben als Fachbereich erkannt: Das ist ein sehr gutes Instrument“, so Ralph Grassel. In der nächsten Stufe werde es darum gehen, weitere IT-Fähigkeiten zu implementieren und die IT-Bedarfe an neue Gegebenheiten der Fachbereiche anzupassen. Schließlich hätten sich der Vertrieb und das Produktmanagement in den letzten fünf Jahren auch fachlich weiterentwickelt und interne Strukturen verändert.
„Wir werden auch untersuchen, wie aktuelle Techniktrends (beispielsweise KI-Einsatz, Chatbots) uns helfen können, den Ressourceneinsatz zu senken, um bestehende Prozesse kostenseitig zu verschlanken und der demografischen Entwicklung entgegenzuwirken“, argumentiert Ralph Grassel zur Zukunft der Vertriebsdigitalisierung. Michael Schultz-Wildelau hat festgestellt, dass die Fachabteilungen in den Interviews mit der DB Systel heute noch aufgeschlossener sind als zuvor: „Wir bemerken einen deutlicheren Mitarbeitswillen bei allen Beteiligten. Weil sie gesehen haben, dass es nicht nur irgendeine Strategie war, die wir uns mal ausgedacht haben, sondern weil sie gesehen haben, was man damit machen konnte und welchen Nutzen diese Strategie hatte.“