Automatische Bilderkennung
Artikel: Graffiti-Jagd mit künstlicher Intelligenz
02/2019 – Beschädigungen durch Schmierereien sind ein Ärgernis, und die Beseitigung kostet Millionen. Um Graffitis schneller zu entdecken, greift die Bahn nun zu intelligenten Mitteln: Eine Kombination aus Kameras und künstlicher Intelligenz soll sie künftig automatisch erkennen.
Die Frage „Ist das Kunst oder kann das weg?“ stellt sich bei der Deutschen Bahn nicht: Wird auf einem Zug ein Graffiti entdeckt, muss dieses schnellstmöglich entfernt werden. Für den Konzern ist es vor allem ein hoher Kostenfaktor. So liegen die finanziellen Mittel für die Beseitigung von Graffitis im Jahr in einem fast zweistelligen Millionenbereich. Der Sicherheitsbericht der Deutschen Bahn beziffert für das Jahr 2017 die Zahl der Graffiti-Beschädigungen auf 18.120 Fälle – eine Steigerung von vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Auch bei der S-Bahn in Hamburg gehören Graffitis an den Zügen fast zur Tagesordnung. Das ist nicht nur ein Kostenfaktor. „Verschmutzte Schienenfahrzeuge führen zu einer verringerten Sicherheitswahrnehmung bei unseren Kunden“, sagt Sven Krayl, Leiter IT und Security der S-Bahn. „Es ist auch ein Thema der subjektiven Sicherheit, nach dem die S-Bahn im Hamburger Verkehrsverbund (HVV) im Qualitätssteuerungsverfahren gemessen wird.“ In seiner Abteilung arbeiten auch die Security-Manager, die sich mit dem Thema Graffiti auseinandersetzen müssen und mit denen er sich ständig über das Problem austauscht und nach Lösungen sucht.
Vom Schnee zum Graffiti
Die Lösung kommt vom IoT/M2M Bereich der DB Systel. Auf Basis des Visual Recognition Service in der DB IoT Cloud wurde eine Formel entwickelt, die automatisch Graffitis erkennen kann. Schon in anderen Bereichen, zum Beispiel bei der Schneeerkennung an Bahnhöfen, leistet der Bilderkennungs-Service gute Dienste. Doch diesmal ist die Aufgabe komplexer, da ganz unterschiedliche Graffitis erfasst werden müssen – und das bei fahrenden Fahrzeugen. Damit dies gelingt, wird eine künstliche Intelligenz mit Bildern trainiert, um auch spezifische Dinge wie Objekte, Schilder, Strukturen, Texturen und jegliche Feinheiten in den Graffitis zu erkennen. Der DB IoT Cloud Visual Recognition Service nutzt hierzu Deep Learning-Algorithmen, um Bilder und Szenen, Objekte und andere Inhalte zu analysieren. Die Information, ob ein Schienenfahrzeug verschmutzt ist oder nicht, wird dann einem virtuellen Abbild, dem Digital Twin des Schienenfahrzeuges, zugeordnet. Auf diese zusätzlichen Informationen, zum Beispiel die Verschmutzung des Zuges, können dann alle an das System angeschlossenen Abteilungen zugreifen.
Erkennungstest in Hamburg
Sven Krayl musste nicht lange überzeugt werden, die Zuverlässigkeit der Erkennung bei einem Test vor Ort (Proof of Concept) zu überprüfen. Die intelligente Bilderkennung soll Graffitis an S-Bahn-Zügen automatisch erkennen und eine entsprechende Information an die Reinigungsdienste senden. Dafür werden an zwei Gleisen im Hamburger Hauptbahnhof handelsübliche Kameras installiert, die jeden einfahrenden Zug fotografieren. Mehr Kameras werden nicht benötigt, da alle S-Bahn-Züge mindestens einmal während ihrer Fahrtroute dort vorbeikommen. „Nach einer gewissen Zeit haben wir so alle Züge erfasst, die in Betrieb sind“, sagt Sven Krayl. So brauchen die Kameras nur an einem Standort installiert zu werden, was die Investitionskosten gering hält.
Eine automatisierte Erkennung und optimierte Zuführung von besprayten Fahrzeugen sorgen für eine bessere Planbarkeit im Reinigungsprozess. Automatisch erstellte, digitalisierte Auftragslisten führen zu einer transparenten und optimierten Durchführung der Reinigung.
Bei der Durchfahrt wird nicht nur die Wagennummer ermittelt, sondern auch alle Bilder, Zeichnungen und Verschandlungen, die nicht an den Zug gehören. Damit unterschieden werden kann, ob es sich um eine Werbefläche oder ein Graffiti handelt, muss einer künstlichen Intelligenz (KI) erst einmal ein wenig Kunst beigebracht werden. Zusätzlich muss diese erkennen, ob ein Zug einfährt und welcher Zug es ist. Bereits bei einem ersten Test wurden gute Ergebnisse erzielt. Mit einer günstigen Außenkamera von Axis wurden pro Tag 2.500 Bilder geliefert, und es wurde eine Erkennungsquote von 97 Prozent erreicht. „Es ist davon auszugehen, dass durch weiteres Lernen die Leistung mit der Zeit noch weiter verbessert werden kann“, sagt Jörn Petereit, Vice President IoT/M2M bei DB Systel.
Mithilfe von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen können mit der Zeit selbstoptimierende Modelle in der DB IoT Cloud entwickelt werden, sodass dort gewonnene Erkenntnisse und Empfehlungen viel früher in die Entscheidungs- und Lösungsfindung einfließen.
Offen für weitere Anwendungen
Doch es wird nicht nur erkannt, ob ein Zug beschmiert wurde, denn die DB IoT Cloud unterstützt auch weitere Möglichkeiten: Durch die Interaktion mit dem Digital Twin entsteht neues Wissen, beispielsweise zur Graffitigröße anhand der Bilddaten, Statistiken zur Werbung oder auch zu Täterprofilen durch Graffiti-Forensik. Diese neuen Erkenntnisse können anschließend bei Bedarf in den physischen Asset oder auch digitalen Prozess zurückgeführt werden.
Doch zunächst liegt der Fokus auf dem Erkennen. Spätestens im Laufe des ersten Quartals 2019 geht das System in Betrieb. Es ist klar, dass es Schmierereien nicht verhindern wird. Aber die frühzeitige Erkennung von Graffitis erlaubt es der Bahn, diese noch schneller zu beseitigen. „Damit wird es für Sprayer unattraktiver, unsere Bahnen als fahrende Graffiti-Trophäe zu nutzen“, ist sich Sven Krayl sicher.