Mit KI und cleverer Sensorik die Auslastung von S-Bahnen prognostizieren

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  • 07/2025 – DB Lightgate kann ohne aufwändige Nachrüstung von Fahrzeugen die Auslastung im ÖPNV messen. Jetzt erlaubt eine KI-basierte Prognose sogar den Blick in die nahe Zukunft einer S-Bahn. Davon profitieren Reisende und der Betrieb.

    Ob du wirklich richtig stehst, siehst du, wenn die Tür aufgeht: Reisende in Ballungszentren möchten gerne einen Sitzplatz in der S-Bahn ergattern, wissen aber nicht, wo im Zug noch Plätze frei sind. In immer mehr Städten ist dies jetzt Vergangenheit. Denn das System „DB Lightgate“ zeigt die Auslastung einzelner S-Bahn-Wagen in Echtzeit auf dem Bahnsteig an. Diese Messanlage und die zugehörige Technik dahinter sind eine Erfindung der S-Bahn Hamburg. Sie wird an immer mehr Orten getestet und eingesetzt.  

    DB Systel unterstützt DB Lightgate als Teil eines übergreifenden DevOps-Teams, kümmert sich um den Betrieb der Software und bringt dabei Entwicklungs- sowie Backend-Expertise ein. Seit Juni 2025 kann das System die Auslastung nicht nur in Echtzeit anzeigen, sondern mit KI-Unterstützung auch hochpräzise Prognosen erstellen, um Fahrgästen und dem Betrieb einige Minuten Vorsprung vor der Gegenwart zu bieten. Zuletzt gewann DB Lightgate deshalb den Regio Award 2025 in der Kategorie „Innovation“. 

    Nicht nur Reisende profitieren 

    Wenn Reisende wissen, wo noch viel Platz ist, geht das Einsteigen schneller und Verspätungen reduzieren sich. Doch nicht nur die Fahrgäste freuen sich über Informationen zur Auslastung, auch der Betrieb sowie die Verkehrsplanung in Städten und Kommunen profitieren. In der Vergangenheit haben die Beteiligten hier vor allem mit Erfahrungswerten und unterschiedlichen Methoden manueller Fahrgastzählung gearbeitet, denn beispielsweise streckengebundene Ticketverkäufe gibt es als Datenbasis im ÖPNV kaum.  

    „Es gab kein System, das Auslastung von außerhalb des Fahrzeugs messen kann“, erinnert sich Julia Kuhfuß, Produktverantwortliche, an die Ursprünge von DB Lightgate. Es war eine essenzielle Voraussetzung, dass die Fahrgastmessung mit einer universellen Lösung für alle Fahrzeuge funktioniert. Denn die Alternative - alle Fahrzeuge aufwändig mit Sensoren auszustatten – fiel aus Kostengründen aus und wäre logistisch kaum flächendeckend möglich. „So haben wir uns auf die wilde Reise gemacht, mit einem Lego-Modell rauszufinden, wie man das machen kann“, erinnert sich Julia Kuhfuß lachend. Das Ergebnis dieser Versuche ist die heutige lichtbasierte Messung. 

    DB Lightgate, einem System zur Messung der Auslastung von Zügen, im Einsatz bei der S-Bahn Hamburg.
    DB Lightgate, einem System zur Messung der Auslastung von Zügen, im Einsatz bei der S-Bahn Hamburg.
    Quelle: DB AG / Jonas Wresch
    DB Lightgate im Einsatz bei der S-Bahn Hamburg

    Bereits erste Tests mit Prototypen am Gleis zeigten den Wert konkreter Messungen und ermutigten das Team weiterzumachen, beschreibt Julia Kuhfuß: „Wir sahen: Es gibt eine dauerhafte Ungleichverteilung unserer Wagen – ohne erkennbares Muster. Es gibt die Haupt- und Nebenverkehrszeiten, die laufen aber nie gleich ab.“ Die DB Systel war von Beginn der Umsetzung an dabei und arbeitet heute in einem übergreifenden Team mit der S-Bahn Hamburg zusammen. Seit zwei Jahren ist DB Lightgate serienreif und beispielsweise in Hamburg auf dem Bahnsteig und in den Stellwerken im Einsatz.  

    Exakte Prognosen mit KI-Unterstützung 

    In der Praxis ist selbst Echtzeit manchmal nicht schnell genug: Denn Reisende, die am Bahnsteig auf ihre Bahn warten, sollten möglichst früh erfahren, wie voll diese sein wird, wenn sie ankommt. Nur dann können sie sich in Ruhe den besten Ort auf dem Bahnsteig suchen. Auch der Betrieb kann besser eingreifen, wenn er weiter in die Zukunft blicken kann und kann beispielsweise die Reihenfolge von Zügen an Knotenpunkten je nach Auslastung oder Verspätungen kurzfristig umdisponieren. Tatsächliche Echtzeitdaten des ankommenden Zuges können jedoch erst dann angezeigt werden, wenn dieser Zug die vorherige Haltestelle passiert hat und gemessen wurde. In der Großstadt ist dies oft nur ein oder zwei Minuten vor Ankunft.  

    Deshalb gibt es jetzt die „KI-Prognose“. Diese verbindet aktuelle Messwerte mit gelernten Daten vergangener Messungen. Dies schließt die zeitliche Lücke und erlaubt es, fünf Messungen in die Zukunft zu blicken und die zukünftige Auslastung an den folgenden Bahnhöfen zu berechnen: „Wir haben jetzt eine Prognose, die nicht nur historische Daten einbezieht, sondern jeden neuen Echtzeitwert mit aufnimmt und sich damit kontinuierlich an diese eine Fahrt anpasst“, so Julia Kuhfuß. „Damit sind wir jetzt bei einer Prognose, die im Vergleich zum tatsächlich gemessenen Wert zu 94 Prozent genau ist.“ 

    Dafür wurde die KI zunächst über Monate mit 22 Millionen Datensätzen trainiert. Im ersten Schritt musste das Team entscheiden, welche Werte relevant sind und hat dabei Dutzende mögliche Faktoren im Detail untersucht: „Dabei sind manche auch rausgeflogen, wie zum Beispiel das Wetter. Viele denken, das Wetter hätte großen Einfluss, aber am Ende haben wir belegen können: In Hamburg hat es jedenfalls keinen wesentlichen Einfluss“, erinnert sich Julia Kuhfuß. 

    „Bei uns heißt es nicht: ‚Das ist Aufgabe der Systel, das macht die S-Bahn Hamburg.‘ Wir verstehen uns als ein Team, in dem jede und jeder ihr oder sein Bestes gibt – und wir gemeinsam Lösungen schaffen, ohne uns von organisatorischen Grenzen aufhalten zu lassen.“

    Merle Felstehausen, Team-Product Ownerin aus der AI Factory, DB Systel

    Als Partner gemeinsam schneller zum Ziel  

    Anfang 2025 hat sich die langjährige Zusammenarbeit von S-Bahn Hamburg und DB Systel völlig neu strukturiert. Seitdem arbeiten beide Seiten in einem geschäftsfeldübergreifenden DevOps-Team „LIT“ gemeinsam weiter an dieser Lösung. Die S-Bahn Hamburg ist dabei die Produktverantwortliche, DB Systel trägt die Betriebsverantwortung. „Wir alle haben gemeinsame Rechte und Pflichten. Unser Fokus ist dabei das Technische: die Availability, Security und Compliance, aber auch Produkt-Rollouts und Weiterentwicklung“, so Merle Felstehausen von DB Systel.  

    Kurze Wege und direkte Zusammenarbeit sorgen so für schnelle Ergebnisse: „Mein Erfolgsgeheimnis ist: Einfach anrufen, statt einen Termin für nächste Woche zu machen! Wir sind hier generell pragmatische Menschen und wir sind auf weitere pragmatische Menschen gestoßen“, so Julia Kuhfuß begeistert. „Früher hatten wir Planungs- und Steuerungs-Overhead, den wir jetzt einfach beiseite gewischt haben“, bestätigt Merle Felstehausen. „Wir vertrauen darauf, dass wir alle gemeinsam das Beste für das Produkt geben und wir haben festgestellt, dass es jetzt einfach noch viel besser läuft.“ 

    „Der Clou ist, dass hier keine:r warten muss oder eine Bestätigung braucht, dass er oder sie etwas tun kann. Jede:r trägt hier eine Verantwortung und jede:r hat aber auch den Spielraum, das selber einfach zu machen“

    Julia Kuhfuß, Leiterin DB Lightgate, S-Bahn Hamburg

    Auch in der Entwicklung beschleunigen die unkomplizierten Abläufe den Weg zu Ergebnissen. Statt regelmäßiger Statusmeetings reicht dem Team heute eine Stunde Absprache pro Woche als Regeltermin. So konzentriert sich das Team auf aktuell anstehende Aufgaben statt streng in Sprints zu planen: „Das ist das, was uns schnell macht: Die Entwickler:innen wollen nicht die Woche mit vielen Terminen vorgeblockt haben, sondern Zeit haben und gezielt zu Dingen sprechen, die dann anliegen“, so Julia Kuhfuß.  

    So funktioniert die Technik 

    DB Lightgate ist einfach im Prinzip und doch hochkomplex in der Umsetzung. Denn das Grundprinzip funktioniert mittels einer Lichtschranke. Diese kann bei DB Lightgate auf zwei Zentimeter genau messen: „Je mehr Leute im Inneren sind, desto weniger Licht kommt durch“, erklärt Julia Kuhfuß. „Auf Basis dieser Daten stellen wir dann verschiedenste, mittlerweile sehr kompliziert gewordene Berechnungen an, mit denen wir aus Lichtmesswerten die Auslastung errechnen.“ Zusätzliche Lichtsensoren helfen dabei, Beginn und Ende eines Wagens zu erkennen. Durch Algorithmen und der Fahrtnummer aus dem Betrieb erkennt das System das Fahrzeug und kann die gemessenen Werte somit richtig interpretieren und vor allem auch dem richtigen Zug zuordnen.  

    Die Software und Algorithmen im Backend der DB-Cloud benötigen lediglich vier Sekunden, um die Auslastung des vorbeifahrenden Zuges zu berechnen und anzuzeigen. Diese IT im Hintergrund ist jedoch nur ein Teil des Gesamtsystems: „Das ist das Spezielle hier, dass wir nicht nur von einem IT-Projekt reden, sondern dass man Hardware und Software zusammen in einem Projekt hat,“ so Merle Felstehausen von DB Systel begeistert. Denn vor allem beim Bau der Trägersysteme und Installation der Sensoren vor Ort kommen bei jedem neuen Ausbau viele Aspekte zusammen: „Die Elektroplanung, die Bauplanung und die IT-Anbindung diverser Schnittstellen“, nennt Julia Kuhfuß als Beispiele. In naher Zukunft wird das Team noch viele weitere Bauvorhaben umsetzen, denn die Vorbereitungen für den Ausbau des Systems in weiteren Städten laufen bereits. 

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