Der Digitale Fahrplan
Artikel: Wandel im Führerstand: Der Digitale Fahrplan für Lokführer:innen
In einem gemeinschaftlichen Projekt haben DB Fernverkehr, DB Regio und DB Systel eine neue Übersicht und einfachere Prozesse für Tausende Triebfahrzeugführer:innen im Konzern geschaffen. Der „Digitale Fahrplan“ zeigt vor und während der Fahrt alle aktuellen Fahrplaninformationen in einer übersichtlichen Darstellung. Dies bündelt alle fahrtrelevanten Informationen auf einem Bildschirm und reduziert Medienbrüche.
Mehr Übersicht im Schienenverkehr
Triebfahrzeugführer:innen (kurz: „Tf“) bewegen Hunderte Tonnen schwere Züge sicher zum Ziel und müssen dazu viele Details beachten. Sie sind Teil des komplexen Zusammenspiels im Bahnbetrieb und in zahlreiche Abläufe eingebunden: Jede einzelne Fahrt erfordert zunächst umfassende Vorbereitungen und Checks. Anschließend sorgen die Triebfahrzeugführer:innen dafür, dass ihr Zug entlang aller Signale und Handlungsanweisungen geschmeidig ans Ziel gelangt. Erst mit der Summe aller Informationen und Unterlagen können die Tf eine Strecke souverän und optimal befahren. Denn jede Fahrt wird von zahlreichen Hinweisen und teils tagesaktuellen Änderungen - wie Baustellen auf der Strecke - begleitet. Das Herzstück ist dabei der Fahrplan, der einen großen Teil der wichtigen Streckeninformationen und Fahranweisungen enthält.
Der neue „Digitale Fahrplan“ ist zwar in der Umsetzung ein Digitalisierungsprojekt, entstanden ist er aber vor allem, um das Arbeitsumfeld im Führerraum der Fahrzeuge bei DB Fernverkehr und DB Regio zu verbessern: viel mehr Übersicht, automatisch zusammengestellte Informationen und weniger Medienbrüche: „Es war unser Wunsch, hier eine Erleichterung zu schaffen und mit Digitalisierung wirklich einen Mehrwert zu stiften“, sagt Kay Scharmer, der bei DB Regio für das Fahrpersonal verantwortlich ist.
Mit dem Digitalen Fahrplan sind jetzt alle Informationen zur Zugfahrt auf dem persönlichen Tablet der Tf zu finden. An einem Ort, auf einen Blick. Die Mitarbeitenden geben lediglich ihre Zugnummer ein und erhalten sofort alle Informationen zur Fahrt. „Das ist der Grund für den Erfolg des ganzen Produkts“, sagt Kay Scharmer von DB Regio: „dass es sich so sehr am Bedarf der Mitarbeitenden orientiert und daran, wie sie diese das Produkt gerne einsetzen würden.“
Vom Papier zum Tablet: Die Evolution im Führerstand
In der fernen Vergangenheit standen ausschließlich die betrieblichen Anforderungen im Vordergrund, Usability oder Tragbarkeit waren noch kaum im Fokus: die Triebfahrzeugführer:innen schleppten viele gedruckte Unterlagen mit Details zur Fahrt mit sich. Jedes Jahr hat die Deutsche Bahn viele Tonnen Papier bedruckt, um all diese Informationen zu verteilen. Mit dem elektronischen Fahrplan „EBuLa“ hielt in den Neunzigerjahren ein neuer Bildschirm Einzug in die Führerstände der Züge und zeigte den Fahrplan elektronisch an. Viele zusätzliche Informationen blieben jedoch weiterhin auf Papier erhältlich. Beispielsweise die so genannten Bremszettel oder Triebzuganweisungen. „Es gab immer noch viel Papier in den Führerräumen“, erinnert sich Jürgen Hohl, Leiter Triebfahrzeugführer bei DB Fernverkehr.
Als zweiter Schritt der Digitalisierung wanderte ab 2015 ein großer Teil dieser zusätzlichen Informationen nach und nach elektronisch auf ein Tablet: „Wir haben das Medium geändert - von Papier zu einem PDF“, erinnert sich Kay Scharmer von DB Regio. Auch beim Fernverkehr erhielten die Tf zu dieser Zeit Tablets als Ersatz vieler gedruckter Unterlagen. Gut für die Wälder und zugleich eine buchstäbliche Entlastung für den Rucksack der Triebfahrzeugführer:innen – doch in Sachen Usability zunächst nur ein kleiner Fortschritt im Vergleich zu Heften und Büchern. Denn es handelte sich weiterhin um Dokumente, aus denen sich die Mitarbeitenden die relevanten Informationen suchen mussten: „Wir haben gemerkt, dass wir zwar digitalisiert haben, aber die Arbeitserleichterung stand noch nicht im Mittelpunkt, beispielsweise wenn man umblättern oder etwas markieren wollte“, erinnert sich Kay Scharmer.
Mit Lösungen wie FASSI-MOVE und RiM konnten in den folgenden Jahren Informationen aus den Dokumenten zunehmend auch außerhalb der PDFs verarbeitet werden, doch erst jetzt mit dem Digitalen Fahrplan wachsen die bisherigen Anwendungen zu einer Ansicht zusammen. Heute sehen die Tf einen kontextbezogenen Fahrtmodus auf ihrem Tablet – mit allen aktuell wichtigen Informationen zur Zugfahrt: das System bietet beispielsweise die Funktion „Fernglas/Rückspiegel“, die Züge vor und hinter dem eigenen Fahrzeug anzeigt. Das neue Modul „La-Select“ zeigt alle aktuellen Langsamfahrstellen zur aktuellen Strecke passend gefiltert über den gesamten Weg der Fahrt an. Diese Darstellung reagiert auch auf Änderungen im Fahrplan. Um diese Erleichterung zu erreichen, mussten im Hintergrund zahlreiche Informationen unterschiedlicher Quellen zusammengeführt werden. „Die Einführung des Digitalen Fahrplans ist für DB Fernverkehr ein wichtiger Schritt, um die Arbeitsprozesse unserer Triebfahrzeugführer:innen effizienter und moderner zu gestalten. Die digitale Lösung hilft uns, Fehlerquellen zu minimieren und die Qualität im Betrieb weiter zu steigern“, so Jürgen Hohl.
Gemeinsam zur einheitlichen neuen Lösung
Der Digitale Fahrplan ist eine Kooperation von DB Fernverkehr, DB Regio und DB Systel. Ab Ende 2019 entstand die Basis, als sowohl DB Fernverkehr, DB Regio wie auch DB Systel nach weiteren Verbesserungen für die Arbeitsumgebung der Triebfahrzeugführer:innen suchten. „Wir wussten, wir dürfen uns zum Beispiel keine Ausfälle erlauben, weil Störungen hier mit Verspätungen oder Ausfällen an Reisende weitergegeben werden“, blickt Kay Scharmer zurück: „Deswegen war es wichtig, das Projekt gut und sicher mit stabilen Fundamenten aufzusetzen.“ Mit FASSI-MOVE betreibt DB Systel bereits eine Anwendung, die bei mehreren Eisenbahnverkehrsunternehmen, darunter DB Regio, im Einsatz war und auf die Digitalisierung der Arbeitsplätze des Fahrpersonals spezialisiert ist. Auf dieser Basis war es besonders effizient, eine gemeinsame Lösung für den Personenverkehr zu schaffen.
„Die Highlights des Projekts waren zum einen die Kooperation – wie wir es aufgesetzt haben – aber vor allem: wie wir ab dem ersten Entwicklungsschritt die späteren Anwender:innen aktiv eingebunden haben. Noch bevor die erste Zeile Code programmiert war, waren die Mitarbeitenden involviert, die die zukünftigen Produkte als Anwender:innen nutzen sollten.“
„Das ganze Projekt war immer wieder mit Workshops durchsetzt - mit frei zugänglichen Vor-Ort-Terminen - sodass man ohne Anmeldung einfach dazu kommen und sich das anschauen konnte“, freut sich Kay Scharmer. „Alle Tf konnten dort ihr Feedback geben und dies ist in die Entwicklung eingeflossen.“ Diese praxisnahe Begleitung hat dafür gesorgt, dass jeder Schritt in die richtige Richtung ging: „Die Entwickler:innen hatten hier immer die Erklärung dafür, warum sie manche Dinge so entwickeln, statt nur eine Anforderung zu erhalten und diese umzusetzen“, erinnert sich Fabian Meier, der bei DB Systel Produktverantwortlicher für den Digitalen Fahrplan ist: „Und ich glaube, dabei haben viele der Entwickler:innen unheimlich viel gelernt, wie die Bahn an sich funktioniert.“
Einen gemeinsamen Weg finden
Denn im Projektverlauf standen die Anforderungen der Tf ganz im Mittelpunkt. Zahlreiche Lokführer:innen gaben als „Lead-User:innen“ ihr konkretes Feedback während der Entwicklung der Lösung: „Die haben das Projekt von Anfang an begleitet“, erinnert sich Henning Lerz, der bei DB Fernverkehr Produktmanager für den Digitalen Fahrplan ist. Zudem haben die Projektmitarbeitenden von DB Fernverkehr und DB Regio, die sich um Anforderungen kümmern, ebenfalls Betriebsexpertise aus der Praxis: „Zunächst haben sie mit Hilfe von Kolleg:innen der Systel gelernt, was es heißt, ‚Business-Analyst‘ zu sein und dann die Anforderungen aufgeschrieben.“ DB Fernverkehr und DB Regio bringen so ihre betriebliche Expertise ein und arbeiten daraus die jeweiligen Anforderungen aus ihrem Alltag heraus. DB Systel übernimmt die Entwicklung und Betriebsführung der Lösung. Die ideale Umsetzung für konkrete Funktionen diskutieren die drei Beteiligten dabei jeweils gemeinsam, um Wege zu finden, die für den Betrieb der Geschäftsbereiche gleichermaßen passen, aber auch in der Entwicklung effizient umsetzbar sind. „Wir legen großen Wert darauf, dass die Anwendung nicht nur technisch überzeugt, sondern auch die Bedürfnisse der Triebfahrzeugführer:innen im Fernverkehr in den Mittelpunkt stellt. Die kontinuierliche Weiterentwicklung und die Integration neuer Funktionen sind entscheidend, damit unsere Mitarbeitenden bestmöglich unterstützt werden“, erklärt Jürgen Hohl.
„Ich empfinde es nicht so, dass wir in einem ‚Auftraggeber-Auftragnehmer‘-Verhältnis sind, sondern wir arbeiten partnerschaftlich miteinander. Anfangs hatten wir beispielsweise noch jeweils getrennte Projektdokumentationen und haben dann schnell zu einer gemeinsamen Dokumentation gewechselt.“
Eine der Herausforderungen im Projekt war es, unterschiedliche Daten aus ihren jeweiligen Quellen nutzbar zu machen. Datenlieferanten rund um jede Fahrt sind nicht nur die Verkehrsunternehmen, sondern beispielsweise auch DB InfraGO. Bei den Rohdaten handelt es sich teils um reine Infrastrukturdaten ohne eigene Schnittstellen, beispielsweise aus PDF-Dokumenten. Deshalb müssen diese Informationen zunächst ergänzt und vor allem sowohl fachlich als auch technisch in den richtigen Bezug zueinander gebracht werden: „Die Daten waren da“, erinnert sich Fabian Meier: „Diese Daten zu verknüpfen und gleichzeitig - auch technisch - so darzustellen, dass die verschiedenen Bereiche zusammenspielen, es wie aus einem Guss wirkt und man nur die Zugnummer eingeben muss: das war die Herausforderung.“
Bald fahren 20.000 Triebfahrzeugführer:innen mit dem Digitalen Fahrplan
Die betriebliche Erprobung des Digitalen Fahrplans begann im August 2024 bei DB Fernverkehr und bei DB Regio. Inzwischen nutzen die rund 5.000 Triebfahrzeugführer:innen bei DB Fernverkehr bereits flächendeckend den Digitalen Fahrplan, ihre circa 15.000 Kolleg:innen von DB Regio erhalten schrittweise mit der Verteilung neuer Tablets ebenfalls Zugang zur Anwendung. Den Status „Projekt“ hat die Lösung inzwischen hinter sich gelassen. Der Digitale Fahrplan selbst wird sich dennoch immer weiter entwickeln: „Wir sind noch nicht am Ende des Weges“, sagt Fabian Meier. „Wir haben zwar schon viele Daten miteinander verknüpft, aber eben noch nicht alles.“ Auch heute gibt es weiterhin wöchentliche Treffen, um neue Funktionen zu besprechen und fachliche Anforderungen zu klären. „Wir legen die fachlichen Anforderungen extrem tief fest. Wir denken auch immer die Risiken mit, die dabei entstehen können“, so Henning Lerz.
„Wir wollen die notwendigen Arbeitsschritte und den Aufwand der Tf noch weiter verringern. Damit sie Informationen möglichst gut erreichen, wenn sie diese brauchen“, sagt Jürgen Hohl. So werden in naher Zukunft zum Beispiel Daten aus Schichtplänen die Zugnummern automatisch zuliefern. Eine weitere konkrete zusätzliche Funktion für die Zukunft ist möglichst energiesparendes Fahren. Hier werden die Tf Empfehlungen erhalten - sodass sie beispielsweise nicht stärker beschleunigen als nötig, um den nächsten Halt pünktlich zu erreichen: „Wir stellen den Tf ein Hilfsmittel mit direktem Feedback zur Verfügung, um deutlich energiesparender zu fahren “, so Fabian Meier.
Der Digitale Fahrplan hat in der Fahrtvorbereitung und der Informationswelt während der Fahrt die größte Veränderung der letzten Jahre für die Triebfahrzeugführenden gebracht. Das kommt gut an: in ihren Rückmeldungen sprechen die Tf von der größten Digitalisierungsmaßnahme seit Jahrzehnten. Das lässt sich auch messen: In der jährlichen Befragungen der Nutzer:innen bei DB Fernverkehr erreicht das neue Tool in der Zufriedenheit rund acht von zehn Punkten. „Die Akzeptanz und das Feedback der Triebfahrzeugführer:innen zeigen, dass wir mit dem Digitalen Fahrplan auf dem richtigen Weg sind – für Fernverkehr und Regio gleichermaßen“, so Jürgen Hohl.